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Die Angst der SED vor zu viel Nachbarschaft

Am Beispiel Fellbachs: Deutsch-Deutsche Städtepartnerschaften im Visier von SED und Staatssicherheit

Seit 25 Jahren besteht die Städtepartnerschaft von Fellbach in Baden-Württemberg mit Meißen. Sie begann, als es die DDR noch gab und kostete die DDR-Machthaber viel Überwindung. Denn das Misstrauen war in zweierlei Hinsicht groß. Wollen sich Gäste aus Fellbach "subversiv" in Meißen einmischen? Oder wollen ausgewählte DDR-Besucher aus Meißen in Fellbach türmen? Um gegenseitige Delegationsbesuche unter Kontrolle zu halten, erhielt die Staatssicherheit eine zentrale Funktion. Die ostwest-deutschen Brückenschläge wurden schon im Vorfeld systematisch überwacht.

Gruppenfoto aus den Anfängen der Städtepartnerschaft Fellbachs, Bildausschnitt aus einem städtischen ProspektGruppenfoto aus den Anfängen der Städtepartnerschaft Fellbachs, Bildausschnitt aus einem städtischen Prospekt Quelle: Stadt Fellbach

Bei einer Matinee im Fellbacher Rathaus trug der Leiter der Außenstelle Dresden des BStU, Konrad Felber, Erkenntnisse aus der systematischen Durchsicht von Akten vor, die solche Städtepartnerschaften betreffen. Anlass war der 40. Geburtstag des Fellbacher Städtepartnerschaftsvereins und die seit nunmehr 25 Jahren bestehende Verbindung von Fellbach mit Meißen. So erhielt der damalige Meißener Bürgermeister Klaus Däumer dereinst exakte Anweisungen von der Stasi, zu welchen Themen er besser zu schweigen habe. Problematisch wurde Partnerschaft auch für die Abteilung Postverkehr der DDR-Geheimpolizei: Sie geriet aufgrund des nunmehr stark zunehmenden Postverkehrs an ihre Kapazitätsgrenze. Denn nahezu jeder Brief über die Grenzen wurde heimlich geöffnet und mitgelesen.

Umfangreich dokumentiert ist von der Stasi auch die Berichterstattung des Fellbacher Stadtanzeigers über deutsch-deutsche Veranstaltungen. Wer sich darin nicht im Sinne des SED-Staats äußerte, wurde schnell an weiteren Besuchen gehindert. Das belegte Konrad Felber am Beispiel einer Meißenerin, die nach einem Besuch in Fellbach „umfassend operativ aufgeklärt“ und von weiteren Veranstaltungen ausgeschlossen wurde.

Städtepartnerschaften als Frucht des KSZE-Prozesses

Mit einem Schreiben an den SED-Vorsitzenden Erich Honecker begann 1986 dieses Kapitel deutsch-deutscher Nachbarschaft-Geschichte für die Stadt Fellbach über die innerdeutsche Grenze hinweg. Mit seiner Post an den Politbürochef machte sich der damalige Oberbürgermeister Friedrich-Wilhelm Kiel für einen solchen, friedensstiftenden Brückschlag stark und berief sich darin auf den 'Geist von Helsinki'. Und genau das brachte die DDR in Verlegenheit. Dabei hatte sie 1975 die Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) mitunterzeichnet - eine Vereinbarung, die mehr Offenheit statt Abschottung versprach. Doch es dauerte noch bis 1986/87 bis in der DDR den Worten Taten folgten. "Niemand hätte zu diesem Zeitpunkt ahnen können, wie dieser Versuch einen Staatsratsvorsitzenden beim Wort zu nehmen enden würde", sagte der damalige Oberbürgermeister bei der Festmatinee.

Warum? Dem SED Regime war es bei der KSZE-Konferenz in erster Linie um internationales Ansehen gegangen, die Anerkennung des Status Quo in Europa und um die Sicherung der Nichteinmischung in ihre inneren Angelegenheiten. Darunter verstand die SED und die DDR-Regierung vor allem eine weitgehende Abschirmung in Fragen von Menschenrechtsangelegenheiten. Deshalb, das belegt der Schriftverkehr, der sich heute in den Stasi-Akten wiederfindet, war beispielsweise das Entsetzen groß, als der damalige Fellbacher Oberbürgermeister die Bitte um Unterstützung eines Schreibens der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) äußerte. Sie galt für das MfS als "Feindorganisation". Das wiederum löste Aktivitäten vom Rat des Bezirkes Dresden über die MfS Bezirksverwaltung bis zum DDR-Außenministerium in Berlin aus. Infolge entwickelte sich ein reger Schrift- und Weisungsverkehr zwischen den staatlichen Stellen, der SED und dem Staatssicherheitsdienst.

Hier zum Nachlesen gebündelt in zwei Sammel-PDFs einige der Schreiben, die den Streitpunkt IGFM berühren: [DOWNLOAD A] und [DOWNLOAD B].

Die SED-Führung war sich von Anfang an wohl bewusst, welche Risiken für die DDR mit der Umsetzung des KSZE Korbes III, nämlich den Menschenrechtsfragen verbunden wären. Nicht nur ideologisch sondern auch praktisch sah man die Gefahr einer Infiltration der DDR-Diktatur durch die Vermittlung von Demokratie, Freiheit, Rechtsstaat oder des direkten Meinungsaustausches zwischen DDR- und "BRD"-Bürgern. Für die Meißner Stasi hatte das auf vielfältige Weise praktischen Bezug, z.B. auch, als die Fellbacher Delegation dem damaligen Meißner Stadtoberhaupt die Schenkung eines öffentlich nutzbaren Kopierers ankündigte.

Die höchst unterschiedlichen deutsch-deutschen Städtepartnerschaften entwickelten sich durch solche Schritte in den Jahren 1987 bis 1989 zu einer echten "Gefahr" für die DDR Führung. Zu diesem Zeitpunkt gab es außer dem Bündnis Meißens mit Fellbach folgende ähnlich intensiv beäugte Städte-Paarungen: Saarlouis-Eisenhüttenstadt, Erfurt-Mainz, Rostock-Bremen, Berlin/Spandau-Nauen, Ludwigshafen-Dessau, Bonn-Potsdam, Recklinghausen-Schmalkalden, Halberstadt-Wolfsburg und Düsseldorf mit Chemnitz, das damals noch Karl-Marx-Stadt hieß.

Das MfS befürchtete vor allem, dass solche Bündnisse ein unkontrollierbare Eigendynamik entwickeln könnten. So wird in einem Stasi-Dokument vom "Unterlaufen staatlicher Festlegungen im Rahmen der Partnerschaft Dresden-Hamburg" gewarnt, wenn die Themsetzung politische Befindlichkeiten berühren könnte. Das MfS resümierte in einem solchen Fall: "Obwohl die Genehmigung für Fachprogramme und Gespräche durch das MfAA (Ministerium für auswärtige Angelegenheiten) nicht erteilt wurde bzw. solche Programmpunkte mit dem VEB-Reisebüro der DDR vertraglich nicht vereinbart sind, werden unter Berufung auf Städtepartnerschaftsbeziehungen über den Rat der Stadt Dresden derartige Gespräche und Begegnungen vorbereitet und realisiert, womit eindeutig zentrale staatliche Festlegungen unterlaufen werden".

Sogar noch im August 1989 beauftragte der Leiter der Bezirksverwaltung V des MfS, Generalmajor Böhm, eine "Sicherungskonzeption zur Organisierung der politisch operativen Arbeit zur Sicherung der Städtepartnerschaft Dresden-Hamburg". Vorbild war ein ähnlicher Maßnahmeplan für die Städtepartnerschaft Meißen-Fellbach aus dem Jahr 1987.

Jubiläumsprospekt der Stadt FellbachJubiläumsprospekt der Stadt Fellbach (zum Vergrößern bitte auf das Bild klicken) Quelle: Stadt Fellbach

Dem freundlichen Beharrungsvermögen der beteiligten Städte und ihrer Bürger in der alten Bundesrepublik - so wie Fellbach, aber auch von couragierten Partnern in den DDR Städten - ist es freilich zu verdanken, dass trotz aller Maßregelungen die Abschottungspolitik der DDR immer stärker aufgeweicht und am Ende überwunden werden konnte. Somit ist diese zeitlich kurze, sehr spezielle Facette deutsch-deutscher Geschichte ebenfalls ein Mosaik-Teil des Anfangs vom Ende der DDR-Diktatur-Gesellschaft. Viele Geschichten - auch dazu - schlummern noch in den Stasi-Unterlagen.

Autor: Konrad Felber
Mitarbeit: Christina Hofmann und Holger Kulick

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